Corona-Spätfolgen

Post-Covid-Syndrom: Infektiologe erklärt aktuellen Stand zu Long-Covid

Auch nach überstandener Covid-19-Infektion klagen viele Betroffene über langanhaltende Symptome. Professor Oliver Witzke erklärt im Interview das noch unerforschte Krankheitsbild 'Long-Covid'.

Zwei Personen betrachten eine Röntgenaufnahme der Lunge.
Immer mehr Covid-19-Erkrankte leiden nach überstandener Infektion an Spätfolgen des Coronavirus. Foto: bojanstory / iStock
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Seit mehr als 13 Monaten bestimmt die Corona-Pandemie unser aller Leben. Die stetig steigenden Infektionszahlen belegen, dass wir trotz erster Impferfolge und mittlerweile bundesweit geltender Corona-Notbremse noch einen lange Weg in Richtung Normalität vor uns haben. Die bestehenden Maßnahmen sollen auch weiterhin dafür sorgen, dass sich möglichst wenig Menschen mit einer der kursierenden Virusvarianten infizieren, denn die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass eine überstandene Covid-19-Erkrankung immer auch mit Spätfolgen einhergehen kann. Das Online-Wissensportal 'Quarks.de' schreibt, dass rund zehn bis 20 Prozent aller Infizierten mit Langzeitfolgen von Corona zu kämpfen haben. Mediziner sprechen in diesem Falle von Post-Covid, dem Post-Covid-Syndrom oder Long-Covid.

Um ein wenig Klarheit zu schaffen, hat der Infektiologe und Direktor der Klinik für Infektiologie an der Universitätsmedizin Essen, Prof. Dr. med. Oliver Witzke, uns einige interessante Fragen zu dem bisher noch recht unerforschten Krankheitsbild 'Long Covid' beantwortet und von seinen Erfahrungen aus der Post-Covid-Ambulanz berichtet.

Prof. Dr. med. Oliver Witzke
Prof. Dr. med. Oliver Witzke verantwortet in der Klinik für Infektiologie der Universitätsmedizin Essen eine eigene Post-Covid-Ambulanz. Foto: © www.frankpreuss.de / Universitätsmedizin Essen

Prof. Dr. Witzke erklärt seine Erfahrungen mit Post-Covid

Liebenswert: Herr Prof. Dr. med. Oliver Witzke, als Direktor der Klinik für Infektiologie sind Sie derzeit gefragter denn je. Können Sie uns erklären, was man medizinisch unter dem Post-Covid-Syndrom oder auch unter Long-Covid versteht?

Prof. Dr. med. Oliver Witzke: Man könnte hierbei schlichtweg auch von Langzeitfolgen oder -schäden nach einer Covid-19-Erkrankung sprechen. Es handelt sich um Beschwerden, die sich nach dem Ausheilen der Akut-Infektion zeigen. Genaue Ursachen und Ausprägungen sind aktuell noch nicht eindeutig geklärt. Bislang wurden vor allem neurologische und psychische Symptome sowie Müdigkeit beobachtet.

Gibt es schon Erkenntnisse darüber, welche Personengruppen bislang besonders häufig von Long-Covid betroffen sind?

In unserer Klinik für Infektiologie der Universitätsmedizin Essen haben wir für Betroffene eine eigene Sprechstunde eingerichtet. In dieser Post-Covid-Ambulanz haben wir mittlerweile mehr als 300 Patientinnen und Patienten untersucht. Dazu zählen zum einen Betroffene, die so schwer erkrankt waren, dass sie schwere Einschränkungen der Lungenfunktion aufwiesen und auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Das ist aus medizinischer Sicht nicht überraschend. Überraschend ist jedoch, dass auch jüngere, gesunde Menschen Spätfolgen zeigen.

Personen mit einem leichteren Krankheitsverlauf klagen eher über neurologische Beschwerden, wie den Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns. Bei ihnen zeigen sich zum Teil auch kardiologische Symptome. Hinzu kommt ein großer Anteil von Personen, die über extreme Müdigkeit bis hin zur Depression klagen. Hiervon sind gehäuft Frauen betroffen.

Steht das Post-Covid-Syndrom nach bisherigem Stand der Forschung eher in Zusammenhang mit einem schweren oder einem milden Covid-19-Krankheitsverlauf?

Das muss man differenziert betrachten. Nach einer Intensiv-Behandlung müssen sich Patientinnen und Patienten noch relativ lange erholen, weil ihre Lungenfunktion massiv eingeschränkt war. Betroffene klagen über eine verminderte Leistungsfähigkeit und Atemnot. Das beschriebene Müdigkeitssyndrom, neurologische Symptome sowie Herz-Kreislauf-Beschwerden treten hingegen unabhängig von einem schweren Verlauf auf.

Erfahren Sie im Video mehr über betroffene Personengruppen: (Das Interview geht unter dem Video weiter)

Video Platzhalter
Video: Glutamat

Häufige Symptome des Post-Covid-Syndroms

Wir wissen bereits, dass die Atemwege, insbesondere die Lunge, noch lange nach einer Corona-Infektion für Beschwerden sorgen können und auch bei anderen Organsystemen sind Langzeitschäden nicht ausgeschlossen. Welche Beobachtungen haben Sie hier in Bezug auf Long-Covid gemacht? Welche Symptome gehen häufig mit dem Post-Covid-Syndrom einher?

Grundsätzlich können nach einer Beatmung Vernarbungen in der Lunge auftreten. Dadurch kann es zu einer Verminderung der Leistungsfähigkeit und Atemnot kommen. Davon medizinisch abzugrenzen sind zwei andere Organmanifestationen – neurologische und kardiologische. So zeigen sich bei einem nicht unerheblichen Anteil der Betroffenen Entzündungsherde im Herzmuskel, die über die Zeit ausheilen müssen durch körperliche Schonung. Diese Entzündungen führen zu einer Leistungsschwäche. Bei der bekannten neurologischen Störung des Geschmacks- und Geruchssinns haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie nach Wochen oder Monaten einfach besser wird. Diese trifft oft Patientinnen und Patienten mit einem leichteren Krankheitsverlauf.

Es gibt einen großen Anteil von Personen, die über extreme Müdigkeit bis hin zur Depression klagen, bei denen wir aber keine somatische Ursache dafür finden. Es lässt sich also keine organische Erklärung für die Beschwerden finden, sie haben demnach eher eine psychosomatische Grundlage. Hiervon sind gehäuft Frauen betroffen. Das kommt aber durchaus auch bei anderen vergleichbaren Infektionserkrankungen vor.

Lesen Sie dazu auch: Silent Inflammation: So erkennen Sie eine stille Entzündung

Was können Sie bislang zum Verlauf von Post-Covid sagen? Stimmt es, dass auch nach dem Überstehen einer zum Beispiel milden bis mittelschweren Infektion Wochen später wieder Symptome auftreten können? Wie lässt sich dieses Phänomen medizinisch erklären?

Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit kann eine Folge von Entzündungsherden im Herzmuskel sein. Für die psychosomatischen Syndrome könnten seelische Traumata durch den Intensiv-Aufenthalt und die besonderen Umstände eine Erklärung sein. Das Personal arbeitet in einer kompletten Schutzausrüstung und Besuche sind nicht möglich. Das hinterlässt Spuren bei den Patientinnen und Patienten.

Das beschriebene Müdigkeitssyndrom lässt sich durch immunologische Reaktionen erklären, also durch eine Art Überreaktion des Immunsystems. Die Tatsache, dass wir das eher bei Frauen sehen, die generell bei Covid-19 eine bessere Prognose haben, spricht für diese Erklärung. Schwere Covid-Krankheitsbilder sehen wir eher bei Männern. 

Immer wieder ist im Zusammenhang mit Long-Covid von dieser chronischen Müdigkeit, dem sogenannten Fatigue-Syndrom zu lesen. Handelt es sich hierbei um das bereits von chronischen Krankheiten bekannte Symptom und wenn ja, was können Betroffene dagegen tun, bzw. wie könnte eine Behandlung aussehen?

Das Krankheitsbild ist relativ ähnlich. Aber generell ist die Fatigue nur mäßig gut definiert. Unter Medizinern wird zudem kontrovers diskutiert, ob es nun eine somatische oder psychische Reaktion ist oder gar keine definierte Erkrankung. Aber das Syndrom und auch das Patientenkollektiv, also die Gruppe der am häufigsten Betroffenen, sind von anderen Infektionen bekannt. Körperliches Training kann sich definitiv positiv auswirken. Unsere Post-Covid-Ambulanz ist an die Psychiatrie angebunden. Manche Betroffenen profitieren von Gesprächen, andere von Medikamenten.

Grundsätzlich ist es wichtig, der Müdigkeit durch eine ärztliche Untersuchung auf den Grund zu gehen. Es sollte abgeklärt werden, ob es eine organische Ursache gibt, damit Betroffene bedenkenlos mit einem körperlichen Training beginnen können. Bei Herzschäden muss man beispielsweise aufpassen. Zudem tut es vielen Patienten in dieser Situation gut, wenn sie wissen, dass organisch alles in Ordnung ist.

Mit zeitlichem Abstand zur Infektion werden die Beschwerden besser. Jüngere und Menschen mittleren Alters geben an, dass es etwas länger dauert, bis sie wieder ihre gewohnte Leistungsfähigkeit und Fitness erreichen.

Hoffnung für Long-Covid-Betroffene

An welchen Arzt oder welche Ärztin sollte ich mich wenden, wenn ich nach einer Covid-19-Erkrankung langanhaltende Symptome bemerke? 

Der erste Weg sollte immer zum Hausarzt oder zur Hausärztin führen, weil diese ihre Patientinnen und Patienten am besten kennen, gut einschätzen und gegebenenfalls an eine Post-Covid-Ambulanz überweisen können. Als Universitätsmedizin haben wir Zugriff auf alle Fachgebiete und können alle Untersuchungen machen. Zudem haben wir die Erfahrung, weil wir bereits viele Patientinnen und Patienten gesehen haben.

Es gibt aber auch Betroffene, die sich allein gelassen fühlen. Andere wiederum sind so jung, dass sie vielleicht aktuell gar keinen Hausarzt oder Hausärztin haben. Diese können sich selbstverständlich auch direkt an eine Post-Covid-Ambulanz wenden. Allerdings bekommen diese aktuell sehr viele Anfragen und wir als Klinik für Infektiologie müssen uns zugleich auch um die Akut-Fälle kümmern, die natürlich Vorrang haben.

Aktuell behandeln wir die Patienten in unserer Ambulanz zudem noch nicht kostendeckend. Wichtig wäre also generell eine Finanzierung der Post-Covid-Ambulanzen auf lange Sicht. Denn das wird uns sicherlich noch länger begleiten.

Auch wenn es natürlich sehr individuell ist, fragen sich viele Betroffene, ob die mit dem Post-Covid-Syndrom einhergehenden Symptome irgendwann wieder verschwinden. Gibt die aktuelle Studienlage eine Einschätzung diesbezüglich her, die Erkrankten ein wenig Hoffnung machen könnte?

Aktuell laufen hierzu viele Studien, aber Ergebnisse liegen noch nicht vor. Es wird sicherlich einen ganz kleinen Anteil an Patientinnen und Patienten geben, die dauerhaft Beschwerden haben werden. Aber der größte Teil wird sich sicher wieder erholen. Der Mensch ist schließlich trainierbar und Nervenschäden heilen häufig aus.

Essen, 21. April 2021