Transplantation

Organspende in Deutschland: Wie sinnvoll ist die Widerspruchslösung?

In Deutschland ist die Zahl der Organspenden so gering wie nie. Aber ist hier wirklich die Bereitschaft der Bevölkerung das Problem?

Organspende: Alles zum Thema
Die Zahl der Organspender nimmt von Jahr zu Jahr ab. Das liegt jedoch nicht nur an einer mangelnden Spenderbereitschaft. Foto: martin-lang / iStock
Auf Pinterest merken

Mit seinem Ausspruch für eine gesetzliche Neuregelung des Organspende-Gesetzes, bei der jeder Bundesbürger mit dem 18. Lebensjahr automatisch zum Organspender werden würde, wenn er dieser Regelung nicht widerspreche, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Organspende-Debatte wieder ins Rollen gebracht. In den letzten Jahren ist die Zahl der Organspender in Deutschland stetig gesunken und erreichte 2017 ein historisches Tief von 769 Spendern*, dies geht unter anderem aus dem Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervor. Aber wie lassen sich die sinkenden Zahlen erklären? Verschiedene Theorien deuten darauf hin, dass es sich hier nicht nur um eine fehlende Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung handelt, sondern an vielen Stellen das bestehende System für den Rückgang verantwortlich ist. Das Problem liegt offenbar nicht daran, dass es zu wenig mögliche Spender gibt, sondern, dass die Krankenhäuser und Kliniken diese zu selten erkennen und melden. Muss die Freiheit der Bevölkerung also wirklich durch eine Neuregelung eingeschränkt werden, wenn das Problem eigentlich im System liegt?

Lesen Sie mehr zum Thema Organspende:

Aktuelle Regelung zur Organspende in Deutschland

In Europa gibt es keine einheitliche Regelung zur Organspende. Jedes Land hat eine eigene gesetzliche Regelung, ob einer Organspende aktiv zugestimmt oder aktiv widersprochen werden muss. In Deutschland gilt seit dem 01. November 2012 die Entscheidungslösung. Hierbei ist eine Organentnahme nur dann zulässig, wenn die verstorbene Person sich zu Lebzeiten aktiv für eine Organspende entschieden hat. Um diese Entscheidung zu treffen, erhalten Krankenversicherte ab dem 16. Lebensjahr regelmäßig Informationsmaterial und einen Organspendeausweis von den Krankenkassen. Den Bürgern soll so geholfen werden, sich mit der eigenen Spenderbereitschaft auseinanderzusetzen und sich aktiv und freiwillig dafür zu entscheiden. Liegt keine Entscheidung vor, müssen die Angehörigen im Sinne des Verstorbenen entscheiden.

Das sollten Sie im Notfall unbedingt beachten: (Der Artikel geht unter dem Video weiter)

Video Platzhalter

Gesetzliche Neuregelung: Entscheidungslösung gegen Widerspruchslösung

In den meisten europäischen Ländern gilt hingegen die Widerspruchslösung. Hat die verstorbene Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organentnahme widersprochen, ist sie automatisch als Organspender registriert. Diese Regelung sorgt natürlich für eine höhere Spendenbereitschaft, weil auch Personen, die sich enthalten, im Todesfall als Spender in Frage kommen. Durch den Eurotransplant-Verbund, profitiert auch Deutschland von der Widerspruchsregelung der anderen EU-Länder, weil so zum Beispiel im Jahre 2017 rund 200 Organe aus anderen Ländern in Deutschland transplantiert werden konnten. Europäische Beispiele, wie die langjährigen Spitzenreiter Spanien oder Belgien zeigen, dass die Widerspruchslösung definitiv für mehr Organspenden sorgt. In Spanien nimmt die Zahl der Organspender dadurch von Jahr zu Jahr zu**. Laut Gesundheitsminister Spahn sei die Einführung der Widerspruchslösung eine gute Möglichkeit, die Zahl der Organspender in Deutschland zu erhöhen, wie er im BILD-Interview verlauten ließ. Wobei er sich für die doppelte Widerspruchslösung ausspricht, bei der nicht nur jeder Bürger zu Lebzeiten einer Organspende widersprechen könne, sondern, die Angehörigen im Falle eines fehlenden Widerspruchs, entscheiden können.

Auch interessant: Freistellung zur Pflege von Angehörigen: Ihre Rechte!

Warum werden in Deutschland so wenig Organe gespendet?

Ein Blick auf die Gründe für den Organspender-Rückgang in Deutschland zeigt, dass eine Neuregelung des Spendengesetzes zwar ein Ansatzpunkt, nicht jedoch die alleinige Lösung für das Problem sein kann, denn die Ursachen liegen viel tiefer.

Allgemeine Gründe für den Spendenrückgang

So kann unteranderem der Organspendeskandal aus dem Jahre 2012 dazu geführt haben, dass potenzielle Spender eine Spende aktiv abgelehnt haben, weil ihr Vertrauen in das System zuvor missbraucht wurde. Kleinere Auswirkungen könnten auch die stetig besser werdenden medizinischen Maßnahmen oder die sinkende Zahl von Verkehrsunfällen haben, die dazu führen, dass weniger Patienten sterben und somit als Spender in Frage kommen. Das wohl größte Problem stellen jedoch die Krankenhäuser und Kliniken selbst dar, weil sie zu wenig mögliche Spender erkennen und melden.

Lesen Sie auch:

Zahl der möglichen Spender sank nicht, sondern stieg

Eine Auswertung von Krankenhausdaten aus den Jahren 2010 bis 2015 zeigt, dass die Zahl der potentiellen Organspender in dem analysierten Zeitraum, nicht etwa gesunken, sondern gestiegen ist. Wie das Ärzteblatt in einem umfassenden Bericht darlegte, habe sich die Zahl der möglichen Spender sogar um fast 14 Prozent gesteigert***. In die Kritik der Forscher rückten daher zunehmend die Entnahmekrankenhäuser, die aufgrund organisatorischer Engpässe immer seltener die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) kontaktierten.

Auch interessant: Blut spenden ist gesund

Fehler im aktuellen System: Krankenhäuser melden zu wenig Spender

Für diese Kontaktaufnahme und Vermittlung der potentiellen Spenderorgane ist eigentlich ein Transplantationsbeauftragter zuständig, für dessen Benennung jede Entnahmeklinik seit 2012 gesetzlich verpflichtet ist. Die Kontaktquote blieb jedoch verschwindend gering, weil die Krankenhäuser einfach keine Kapazitäten mehr übrighatten. Modellprojekte des DSO zeigen, dass die Zahlen durchaus wieder gesteigert werden können, wenn die Kliniken effizienter mit der DSO zusammenarbeiten und künftig mehr potentielle Spender erkannt und gemeldet werden. Jede Klinik müsste demnach eigenverantwortlich einen Transplantationsbeauftragten benennen und diesen auch seine, vom Gesetzgeber festgelegten, Aufgaben machen lassen.

Neuer Gesetzentwurf und Ausblick

Dass das Problem offensichtlich im System liegt, ist auch in der Politik bekannt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn äußerte sich dazu ebenfalls und legte einen Gesetzentwurf vor, der sich eben dieser Probleme annehmen soll. Demnach will die Politik künftig die Position der Transplantationsbeauftragten stärken und ihnen mehr Handlungsspielraum einräumen, sowie die Entnahmekrankenhäuser besser für die Organspende entlohnen. Außerdem soll mit mehr Transparenz offengelegt werden, ob Kliniken die möglichen Spender künftig besser erkennen und melden.

Es bleibt also fraglich, warum der Umweltminister trotz bereits ergriffener Maßnahmen, über eine gesetzliche Neuregelung der Organspende nachdenkt, wenn eine Vielzahl an neuen Studien und Analysen ergeben haben, dass ein effizienteres System ebenfalls für einen Anstieg der Organtransplantationen sorgen würde.

Einführung der Widerspruchslösung könnte zu Vertrauensverlust führen

Weiterhin bleibt offen, ob die Einführung der Widerspruchslösung wirklich für einen zusätzlichen Anstieg der Organspendezahlen sorgen würde, wenn man die Bevölkerung plötzlich in ihrer Selbstbestimmung und Freiheit derart beschränkt. Abgesehen von den beschriebenen systemischen Fehlern zeigt sich nämlich eine durchaus positive Einstellung der Bevölkerung zum Thema Organspende und auch der Organspendeausweis erreicht mittlerweile immer mehr Menschen. Mit der Einführung der Widerspruchslösung könnte dieses Vertrauen wieder zunichtegemacht werden. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass die Verabschiedung des neuen Gesetzentwurfes die systemischen Fehler soweit beheben kann, dass weitere Maßnahmen nicht mehr notwendig werden, um die Zahl der Organspenden zu steigern.

*Quelle: Statistiken zur Organspende, https://www.organspende-info.de/infothek/statistiken, 04.09.2018 **Quelle: DSO, Jahresbericht Organspende und Transplantation in Deutschland 2017, https://www.dso.de/uploads/tx_dsodl/JB_2017_web_01.pdf, 04.09.2018 ***Quelle: Dtsch Arztebl Int 2018; 115(27-28): 463-8