Hilfe bei krankhaftem Verhalten

Zwangsstörung: Symptome, Auslöser und Behandlungsmethoden

Bei einer Zwangsstörung wird das Handeln von einem innerlichen, krankhaften Drang gesteuert. Facharzt Dr. Bracher erklärt die Hintergründe der Krankheit.

Zwangsstörung: Anzeichen, Auslöser und Behandlungsmethoden
Zwanghaftes Zählen im Alltag kann auf eine Zwangsstörung hindeuten. Foto: martinwimmer / iStock
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Eine Zwangsstörung, auch Zwangserkrankung genannt, ist eine psychische Störung, bei der das eigene Handeln von einem innerlichen Drang gesteuert wird. Wir haben mit Dr. Thorsten Bracher, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein, über die Auslöser, Symptome und Behandlungsformen der Krankheit gesprochen.

Ab welchem Verhalten spricht man von einer Zwangsstörung?

Dr. Bracher: Wer Tag für Tag Aktenordner nach einem Schema neu ordnet, keine Treppe ohne Stufenzählen hochgehen kann oder immer wieder den abgedrehten Wasserhahn oder die verschlossene Haustür kontrolliert, der leidet eventuell an einer Zwangsstörung. Bis zu einem gewissen Grad gelten solche Handlungen jedoch als völlig "normal". Oft ist der Übergang zwischen unwesentlicher Marotte und erheblicher behandlungsbedürftiger Störung fließend. Entsprechend schwierig ist es häufig, eine Zwangsstörung festzustellen.

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Wie der Name schon sagt, werden bei dieser Erkrankung bestimmte Gedanken, Impulse (die man zu den Gedanken zählt) oder Handlungen zum Zwang. Betroffene können sich dem nicht entziehen - obwohl ihnen meist bewusst ist, dass sie überflüssig oder sogar unsinnig sind. Nicht selten wird der Zwang zu immer wiederkehrenden, oft ritualhaften Handlungen und unerwünschten Gedanken oder Impulsen lebensbestimmend und belastend. Die Betroffenen erleben ihr Verhalten oder ihre Gedanken als sinnlos und versuchen vergeblich Widerstand zu leisten.

Warum entsteht eine Zwangsstörung?

Bis heute sind die Ursachen einer Zwangsstörung nicht klar. Experten gehen davon aus, dass eine Fehlfunktion bestimmter Hirnareale mit Ungleichgewichten sogenannter Neurotransmitter (Hirnbotenstoffe) wesentlicher Auslöser ist. Aber auch die genetische Veranlagung, die Erziehung sowie belastende (frühkindliche) Ereignisse oder Stress scheinen bei der Entstehung dieser Erkrankung eine erhebliche Rolle zu spielen.

Sind Sie sehr gestresst? Der Test im Video kann auf eine übermäßige Belastung hindeuten (Artikel wird darunter fortgesetzt):

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Welche Arten von Zwangsstörungen gibt es?

Fachärzte unterteilen diese Störung in zwei Bereiche: Als Zwangshandlung bezeichnet der Experte beispielsweise den extremen Drang, sich immer wieder die Hände zu waschen, die Wohnung zu putzen oder den Herd zu kontrollieren. Oft ist es auch der Zwang, immer wieder bestimmte Dinge zu zählen (etwa Menschen und Autos auf der Straße) oder zu kontrollieren. Zwangsgedanken sind für den Betroffenen oft von quälender Intensität. Es kommen zwanghafte Ideen, bildhafte Vorstellungen oder Zwangsimpulse vor, die oft mit dem ethisch-moralischen Wertesystem des Betroffenen nicht vereinbar sind. So beispielsweise blasphemische Gedanken, Impulse sich unflätig zu äußern, die Vorstellung sexuell enthemmt oder gewalttätig zu werden oder auch ein endloses Grübeln über verschiedene Alternativen und deren Konsequenzen, was dann zu einer völligen Entscheidungsunfähigkeit führen kann.

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Welche Auslöser kann es geben?

Zu den Auslösern einer Zwangsstörung zählen in erster Linie außergewöhnliche seelische Belastungen oder Ereignisse wie der Tod eines nahestehenden Menschen sowie belastende Stressfaktoren. Aber auch extreme Ängstlichkeit, ein schwaches Selbstbewusstsein, Alkoholmissbrauch oder Gehirnerkrankungen (wie Parkinson) können die Entstehung begünstigen.

Ist eine Zwangsstörung heilbar?

Bewährt hat sich insbesondere die Kognitive Verhaltenstherapie. Dabei setzt sich der Betroffene mit seinen Zwängen und Ängsten auseinander, lernt diese einzuordnen und damit umzugehen. Hilfreich können auch Medikamente sein – am besten in Kombination mit einer Psychotherapie. Leider suchen viele Patienten erst dann professionelle Hilfe, wenn die Symptome beziehungsweise Beschwerden das tägliche Leben bereits sehr belasten. Dabei lassen sich diese Störungen bei frühzeitiger Diagnose in der Regel dank Verhaltenstherapie gut behandeln.

Während bei leichteren Beschwerden eine ambulante Therapie genügen kann, ist bei ausgeprägten Symptomen eventuell die Behandlung in einer Fachklinik sinnvoll. Dies ist konkret immer dann der Fall, wenn unerwünschte Gedanken oder Handlungen das Leben so beeinträchtigen, dass eine normale Alltagsbewältigung nicht mehr möglich ist und ein sehr großer Leidensdruck besteht. Die Betroffenen können bei schweren Zwangssymptomen regelrecht verzweifelt und hoffnungslos sein, bis hin zu Suizidgedanken.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Die telefonische Seelsorge ist kostenlos, anonym und rund um die Uhr unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 zu erreichen.

Was können Angehörige tun, um Betroffene zu unterstützen?

Vielfach bleiben die Symptome selbst Angehörigen oder Freunden über Jahre verborgen, weil die Betroffenen diese oft aus Scham vor der Umwelt zu verbergen versuchen. Auf jeden Fall sollten Angehörige betroffenen Familienmitgliedern oder Partnern dringend raten, zum Arzt zu gehen. Keinesfalls sollten sie sich aber auf dessen Rituale einlassen oder deren Sinn in Frage stellen. Besser Hilfe, Verständnis und Unterstützung signalisieren. Dabei ist es empfehlenswert, persönliche Grenzen aufzuzeigen und Fortschritte im Verhalten des Betroffenen zu würdigen.

Dr. Thorsten Bracher über das Thema Zwangsstörung
Dr. Thorsten Bracher ist Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie ist u.a. spezialisiert auf die Behandlung von Depressionen, Angsterkrankungen und Zwangsstörungen. Foto: Schlossparkklinik Dirmstein