Weltherztag 2020

Vorhofflimmern: Experte erklärt Symptome und neue Therapie

Im Interview hat Prof. Dr. Wakili mit uns über ein neues Therapieverfahren in der Behandlung von Vorhofflimmern gesprochen.  

Im Interview spricht Prof. Dr. Wakili mit uns über die Behandlung von Vorhofflimmern.
Im Interview spricht Prof. Dr. Wakili mit uns über die Behandlung von Vorhofflimmern. Foto: bernie_photo / iStock
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Zum jährlichen Weltherztag am 29. September hat Liebenswert auch in diesem Jahr mit einem Experten über ein spannendes Thema im Bereich der Herzgesundheit gesprochen. Professor Dr. Reza Wakili, Bereichsleiter der Elektrophysiologie in der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Universitätsmedizin Essen, hat uns einen interessanten Einblick in das Thema Vorhofflimmern gegeben und erklärt, welches neue Therapieverfahren der Medizin seit Kurzem zur Verfügung stehen und welche erfolgversprechenden Erfahrungen die Universitätsmedizin Essen damit bisher gemacht hat.  

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Prof. Dr. Reza Wakili - Foto: © Universitätsmedizin Essen

Unser Experte: Prof. Dr. Reza Wakili

Prof. Dr. Reza Wakili ist Bereichsleiter der Elektrophysiologie in der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Universitätsmedizin Essen.

Vorhofflimmern: Diese Symptome können auftreten

Liebenswert: Prof. Wakili, das Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen. Was genau passiert dabei im Herzen?

Prof. Dr. Reza Wakili: Beim Vorhofflimmern ist der Taktgeber des Herzens, der sogenannte Sinusknoten nicht mehr in der Kontrolle des Herzrhythmus. Das chaotische Vorhofflimmern bestimmt dann komplett den Rhythmus des Herzens. Man kann sich das ähnlich wie bei einem Orchester vorstellen: Wie ein Dirigent gibt der Sinusknoten den Takt für Herzrhythmus und Puls vor. Wird ein Dirigent abgelenkt, spielen alle Instrumente durcheinander. Beim Vorhofflimmern kommt es zu einer chaotischen Erregung des Herzens, wodurch Herzrhythmus und Puls irregulär und unrhythmisch werden – mal zu schnell, mal zu langsam.

Wie äußert sich Vorhofflimmern? Gibt es bestimmte Symptome, die jeder Betroffene spürt?

Typische Symptome sind zum Beispiel Luftnot, Schwindel, Herzklopfen und Unwohlsein. Manche Betroffene klagen zudem über Brustschmerzen. Aber einige Patienten bemerken das Vorhofflimmern auch gar nicht.

Welche verschiedenen Arten von Vorhofflimmern gibt es und wie werden diese erkannt?

Eigentlich spricht man nur noch vom Überbegriff Vorhofflimmern. Das steht auch in der neuesten Behandlungs-Leitlinie. Eine Unterscheidung nach Art und Dauer des Vorhofflimmerns, wie sie lange Zeit üblich war, tritt immer mehr in den Hintergrund. Heute stehen andere kausale Aspekte im Fokus. Zum Beispiel: Was für ein Mensch ist es, der Vorhofflimmern hat? Alter und Geschlecht spielen also eine Rolle. Welche Risikofaktoren hat er? Was ist die zugrundeliegende Ursache der Erkrankung?

Die Einteilung nach Art und Dauer des Vorhofflimmerns gehört immer mehr der Vergangenheit an, weil sie relativ wenig spezifisch für die weitere Diagnostik und Therapie ist. Ob die Erkrankung von alleine beginnt und auch wieder aufhört oder ob sie anhält und den Betroffenen permanent begleitet – dieses Wissen ist nicht ausreichend, um das Risiko individuell abzuschätzen und eine passende Therapie oder andere Maßnahmen einzuleiten.

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Vorhofflimmern behandeln: Prof. Wakili erklärt Therapieverfahren

Ein häufig angewandtes Therapieverfahren ist die Ablation am Herzen, bei der die fehlerhaften elektrischen Erregungen unterbunden werden. Bei der Kryoablation geschieht dies durch die Anwendung von Kälte. Wie läuft so eine Behandlung ab?

Bei diesem Eingriff handelt es sich um eine Herzkatheteruntersuchung. Das ist ein minimalinvasives Verfahren mit lokaler Betäubung in der Leiste. Der Katheter wird über eine Vene in der Leiste eingeführt und gelangt so über das Gefäßsystem bis zum Herzen.

Beim Vorhofflimmern erfolgt der Eingriff über die rechte Herzseite. Mit einem Stich durch die rechte Herzseite gelangt der Katheter dann in die linke Vorhofebene. Dort befinden sich die beiden Mündungsregionen, die Herz und Lungenvenen miteinander verbinden. Das ist die entscheidende Stelle. Denn die Unruhe stiftenden Zellen, die für das Vorhofflimmern verantwortlich sind, stammen aus den Lungenvenen.

Um zu verhindern, dass sie zum Herzen beziehungsweise in das Herzmuskelgewebe gelangen und dort ein Vorhofflimmern auslösen, werden diese Zellen elektrisch isoliert. Dazu wird der Katheter noch innerhalb des Herzens aufgeblasen und auf die Mündung der Lungenvene gedrückt, sodass die Vene verschlossen wird. Durch die Abgabe von Kälte wird die Mündungsregion von der Herzseite aus vereist und damit verödet. In der Folge kann das Blut zwischen Lunge und Herz zwar weiter fließen. Aber den Zellen, die für die Unruhe verantwortlich sind, bleibt der Zugang durch eine sogenannte elektrische Isolationslinie, die im Prinzip wie ein Zaun funktioniert, verwehrt.

Kürzlich wurde in Deutschland erstmals ein neuer Polar-X-Kryoablations-Ballonkatheter bei Patienten mit Vorhofflimmern eingesetzt. Sie haben am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Universitätsmedizin Essen bereits mit dem neuen Katheter gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Wir haben bisher mehr als 30 Patienten mit dem neuen Katheter behandelt und sind begeistert von dem System. Die Behandlung ist für Arzt und Patienten gleichermaßen sehr angenehm. Software und Bedienoberfläche, aber auch der Katheter als solches, sind optimal darauf ausgelegt, die elektrische Isolation schnell, sicher und effizient zu gestalten. Der Ballon lässt sich meist problemlos in die Mündungsregion manövrieren, sodass die Lungenvene in der Regel bereits nach 180 Sekunden isoliert ist. Das heißt, wir können dem Patienten schon nach relativer kurzer Zeit sagen, ob die Behandlung erfolgreich war.

Erfahren Sie im Video mehr über Herzrythmusstörungen: (Das Interview geht unter dem Video weiter)

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Für welche Patienten kommt dieses Therapieverfahren infrage und wie erfolgversprechend ist es?

Das Verfahren wird vor allem bei Patienten eingesetzt, bei denen erstmalig eine Ablation durchgeführt wird. Es kommt nur infrage, wenn das Vorhofflimmern mit Symptomen – also zum Beispiel Atemnot oder Schwindel – einhergeht. Zudem ist die Kryoablation besonders für ansonsten herzgesunde Patienten im Alter von 40 bis 69 Jahren geeignet. Das liegt daran, dass das Verfahren nur auf eine Ursache, nämlich die Unruhe stiftenden Zellen aus der Lungenvene, fokussiert. Bei über 75-Jährigen zum Beispiel, die oftmals an weiteren Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzschwäche oder veränderten Herzklappen leiden, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit der Kryoablation geringer. Denn in den meisten Fällen hat das Vorhofflimmern dann noch andere Ursachen.

Wie unterscheidet sich die Kryoablation mit dem neuen Ballonkatheter von den bisher angewandten Therapieverfahren? Welche Vorzüge hat das neue Verfahren?

Die Dauer des Eingriffs ist deutlich geringer. Während andere Ablationsverfahren 120 Minuten und länger dauern, benötigen wir für die Kryoablation mit dem neuen Ballonkatheter vom Einführen des Katheters in die Leiste bis zum Herausziehen etwa 60 bis 90 Minuten. Das neue Verfahren wird auch als 'Single shot' bezeichnet, weil an jeder Lungenvene nur einmal vereist werden muss, um die Bereiche elektrisch zu isolieren und damit zu verhindern, dass die Unruhe stiftenden Zellen zum Herzmuskel gelangen. Bei der Hochfrequenzstromablation hingegen wird punktförmig gearbeitet. Die Bereiche um die beiden Lungenvenen müssen Punkt für Punkt verödet werden, um die elektrische Isolation zu erzeugen. Das dauert natürlich deutlich länger.

Außerdem verfügt der Katheter über neue und optimierte Sicherheitsfeatures. Dazu zählt zum Beispiel eine Echtzeitüberwachung der Zwerchfellmotorik. Sie soll vorbeugen, dass der Nerv, der das Zwerchfell versorgt, in Mitleidenschaft gezogen wird. Zudem ist die Vereisungstemperatur sehr tief. Sie beträgt zwischen -45 und -65 Grad Celsius, was das Verfahren besonders effizient macht.

Heilungschancen bei Vorhofflimmern

Ist der Patient bei erfolgreicher Therapie geheilt bzw. kann bei erneutem Auftreten der Herzrhythmusstörung eine weitere Ablation durchgeführt werden?

Bei dieser Frage gehen die Meinungen stark auseinander. Ich glaube nicht, dass Vorhofflimmern heilbar ist. Vorhofflimmern ist meistens ein multifaktorielles Leiden. Es gibt also verschiedene kausale Ursachen. Mit Hilfe des Kryoablationsverfahrens kann eine der Hauptursachen von Vorhofflimmern beseitigt werden. Dennoch kann Vorhofflimmern im weiteren Verlauf erneut auftreten – dann liegt nur vermutlich eine andere Ursache zugrunde. Bei der Behandlung von Vorhofflimmern ist es ein bisschen wie beim Fußball: Man hat nicht nur einen Gegenspieler, sondern meist mehrere. Manchmal hat man Glück und entschärft einen besonders starken und entscheidenden Gegenspieler. Dann hat man gute Chancen, zu gewinnen. Manchmal gibt es aber viele starke Gegenspieler, gegen die man ankämpfen muss.

Essen, 25. September 2020