(Un)gesunder Optimismus

Ist Gesundheit wirklich eine Frage der Einstellung?

Optimisten werden seltener krank und leben länger, so hieß es bisher. Alles Quatsch, sagen US-Forscher nun. In manchen Fällen kann positives Denken sogar schädlich sein

Ist Gesundheit wirklich eine Frage der Einstellung?
Eine positive Einstellung soll vor Krankheiten schützen. Stimmt das? Foto: Ridofranz / iStock
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Wenn Prof. Gerd Nagel von seinem Lieblingsthema spricht, gerät er ins Schwärmen: "Man kann mit Fug und Recht von einem Wunder sprechen", sagt der Onkologe – und meint damit die Fähigkeit unseres Körpers, Krankheiten aus eigener Kraft zu überwinden. Mithilfe diverser Drüsen stellt der Organismus dafür eine große Bandbreite medizinisch wirksamer Substanzen selbst her und entsendet sie an die jeweilige Notfallstelle. Die Schnittwunde am Finger? Wird mithilfe von Wundsekret desinfiziert und durch Kollagenfasern geschlossen. Der schmerzende Kopf? Wird durch körpereigene Schmerzstiller besänftigt. Und der fiese Erkältungserreger hat erst gar keine Chance, weil ihn kraftvolle Immunzellen abblocken, bevor er sich ausbreiten kann.

Eine gut bestückte Apotheke ist es also, aus der unser Körper schöpfen kann. Und was Forscher und Ärzte wie Prof. Nagel besonders begeistert: Wie gut diese Arzneien wirken, liegt nicht zuletzt in unserer Hand. Besser: in unserer inneren Haltung. "Wir wissen heute, dass sich Gedanken und Gefühle unmittelbar auf die biochemischen Prozesse im Körper auswirken", sagt Prof. Nagel. Sind wir seelisch und körperlich ausgeglichen, patrouilliert in unserem Blut die ganze Palette wirksamer Schutz- und Heilstoffe. Gerät dagegen die Seele unter Druck, blicken wir ängstlich in die Zukunft und verlieren den Glauben an unsere Selbstheilungskräfte, können sie regelrecht erlöschen. Schuld sind dann die Stresshormone Cortisol und Adrenalin, die unsere Immunabwehr schwächen sowie die Ausschüttung von Entzündungs- und Schmerzstoffen befeuern. Die Folge: Infekte, Entzündungen und Schmerzen, für die sich kein organischer Ursprung findet und die oftmals erst dann wieder verschwinden, wenn die lähmende Lebenskrise überwunden ist. Seele gut, alles gut.

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Krebs ist oft die Folge schieren Zufalls

Ist unsere Gesundheit also reine Einstellungssache? Müssen wir uns nur zwingen, positiv zu denken, um eine Krankheit zu überwinden? Werden Optimisten etwa nicht nur schneller gesund, sondern gar nicht erst krank? Wissenschaftler der Universität von Pennsylvania haben diese Frage über 30 Jahre hinweg untersucht und sagen: Quatsch – rein statistisch leben Optimisten nicht länger als Menschen, denen es schwerfällt, an ihre Genesung zu glauben.

Und die Forscher haben auch eine Erklärung für ihre Ergebnisse: Lebensbedrohliche Krankheiten wie etwa multiple Sklerose, Krebs oder Herz-Kreislauf-Leiden entstehen immer aus einer Kombination unterschiedlichster Faktoren. Eine wichtige Rolle spielt etwa die genetische Vorbelastung, und sehr häufig sind sie ganz einfach die Folge schieren Zufalls. Zudem neigen gerade Menschen, die ihre Zukunft durch die rosarote Brille betrachten, eher zu einem riskanten Lebensstil als Skeptiker. Im guten Glauben, dass sie verschont werden, sind sie überdies oftmals nachlässiger bei Vorsorge und Früherkennung.

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Spätestens bei einer schweren Erkrankung stößt die Macht der positiven Gedanken also an ihre Grenzen. "Wenn einem Patienten dann vermittelt wird, er hätte nur optimistischer sein müssen, um gesund zu bleiben, ist das eine Katastrophe", erklärt Psychotherapeut Dr. Günter Scheich, der sich mit der Studie befasst und ein Buch zu dem Thema verfasst hat ("Positives Denken macht krank", Eichborn Verlag, hier bestellen). Viele Betroffene würden von ihrem Umfeld regelrecht angefeuert: Du musst nur fest daran glauben, dass du gesund wirst, heiße es dann. Und: Du grübelst zu viel, denk positiv!

Optimismus lässt sich nicht trainieren

Wie viel Druck solche Sätze auf Betroffene ausüben, hat Dr. Scheich in seiner Praxis häufig beobachtet – und sich immer darüber geärgert. "Negative Gefühle wie Ärger, Wut oder Trauer werden von vielen Menschen als schädlich bewertet", sagt er. "Dabei wissen wir aus der Psychologie, dass sie – vor allem nach einer niederschmetternden Diagnose – wichtig für den Verarbeitungsprozess der Seele sind", sagt Dr. Scheich. "Wenn wir sie durch aufgesetzten Optimismus unterdrücken, kann das erst recht krank machen."

Sich eine positive innere Haltung einreden oder von heute auf morgen antrainieren zu wollen, ist also ein hoffnungsloses Vorhaben. Das sieht auch Prof. Gerd Nagel so. Was können wir also stattdessen tun, um die Zuversicht zu gewinnen, die unseren inneren Arzt stärkt? Für Prof. Nagel liegt der Schlüssel in dem, was Psychologen Selbstwirksamkeit nennen: das Vertrauen, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen und unser Leben dadurch beeinflussen können. Wie das sogar schwer kranken Menschen gelingen kann? "Das ist ein schwieriger, oftmals schmerzhafter Prozess", sagt der Onkologe. Am Ende einer Trauerphase müsse zunächst die Erkenntnis stehen: "Was mir passiert ist, ist traurig, aber nicht zu ändern." Und dann gelte es, die eigenen Kraftquellen aufzuspüren. "Ob gesund oder krank – jeder Mensch sollte für sich klären: Was und wer tut mir gut? Was schadet mir? Aus welchen Dingen in meinem Leben ziehe ich Kraft und welche bremsen mich aus?" Und der Onkologe weiß aus langer Erfahrung: "Solche Ressourcen findet jeder, wirklich jeder – auch in den widrigsten Lebenssituationen."

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Unterstützung in der Krise suchen

Nicht immer muss dieser Prozess, für den wir Zeit und Geduld benötigen, zu großen Veränderungen führen. Meist sind es gerade die kleinen Dinge, die unsere Selbstwirksamkeit stärken. Wie etwa sich auf ein lang vernachlässigtes Hobby zu besinnen, sich einen Traum aus der Kindheit zu erfüllen oder eingeschlafene Freundschaften zu reaktivieren. Wem es gelinge, sich diese Kraftquellen zu erschließen, so Prof. Nagel, der gewinne neues Vertrauen in die Fähigkeiten des eigenen Körpers. Und das führe selbst bei Schwerkranken nachweislich dazu, dass medizinische Therapien besser anschlagen, geringere Nebenwirkungen auftreten und die Betroffenen Symptome besser bewältigen.

Doch was, wenn wir uns den Weg zu mehr Selbstwirksamkeit nicht zutrauen? Dann sollten wir uns Menschen an die Seite holen, die uns begleiten, empfehlen Prof. Nagel und Dr. Scheich. Menschen, die uns gut kennen und uns guttun. Oder auch Therapeuten, die uns helfen, unsere Sinne zu schärfen und unsere Selbstheilungskräfte zu entdecken. Einige wissenschaftlich anerkannte Methoden, die auf diesem Weg helfen, haben wir auf der folgenden Seite zusammengestellt.

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Die Seele turnen lassen - damit die Gedanken stark werden

1. Meditation

Regelmäßige Meditation löst messbare Selbstheilungsvorgänge aus: Entspannt hinsetzen und auf die Atmung konzentrieren. Tief ein- und ausatmen, der Atemluft nachspüren. Schweifen die Gedanken ab, einfach immer wieder zum Atem zurückkehren.

2. Körpertherapie

Wer professionelle Unterstützung auf seinem Weg zu mehr Selbstwirksamkeit sucht, findet sie in dieser Therapieform, die auf eine bessere Körperwahrnehmung abzielt. Therapeuten: über koerpertherapie-verband.com.

3. Qigong

Die Bewegungslehre Qigong ist Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und stärkt die Verbindung zwischen Körper und Geist. Die Übungen sind leicht zu erlernen (etwa im Volkshochschulkurs oder auf taiji-forum.de/qigong/chi-gong-uebungen).

4. Simonton-Methode

Im Zentrum dieser aus den USA stammenden Methode steht die Visualisierung: Wir schließen mehrmals am Tag eine Minute lang die Augen und stellen uns plastisch vor, wie unser Körper funktioniert – etwa die Aktivität der Immunzellen oder die Ausschüttung heilender Substanzen.