Bewegende Beichte

Schicksal der Woche: "Ich lebe mit einem Spenderherz"

Christa* (49) hat ein fremdes Herz in der Brust- ihr wurde durch eine Organtransplantation das Leben gerettet.

Schicksal der Woche
Christa lebt mit einem Spenderherz. Foto: PeopleImages / iStock
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In unserer Rubrik 'Schicksal der Woche' berichten Menschen anonym, über sensible Themen, die sie bewegen. Wir von Liebenswert befragen im Anschluss einen Experten zu dem Thema: Was kann in einer solchen Situation helfen und worauf sollte man unbedingt achten?

Das Schicksal dieser Woche: Eine Frau, die seit 20 Jahren mit einem Spenderherz lebt.

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In Christas Brust schlägt ein fremdes Herz! Vor 20 Jahren wurde ihr durch eine Herz-Transplantation das Leben gerettet. Wie es ihr mit dem Spenderorgan geht und wie sie sich gefühlt hat, erzählt sie hier:

Mein Spenderherz begleitet mich immer

Anfang Dezember feiern meine Familie und ich jedes Jahr meinen Herzgeburtstag. Dann denke ich daran, dass wir fröhlich sind – und eine andere Familie irgendwo in Deutschland traurig ist. Denn in jener Nacht vor 20 Jahren, in der ich mein neues Herz bekam, verlor sie den Menschen, der es mir geschenkt hat.

Im Trubel des Alltags fällt es mir oft gar nicht mehr auf, dass ein fremdes Herz in meiner Brust schlägt – so sehr fühlt es sich an wie mein eigenes. Selbst die Narbe, die ich morgens im Spiegel sehe, weckt keine dunklen Erinnerungen, sondern Dankbarkeit. Dafür, dass ich lebe. Nur wenn ich krank bin und beispielsweise mit einer Grippe allein zu Hause liege, kriecht die Urangst in mir hoch. Dann höre ich wieder ganz genau auf jeden Herzschlag und frage mich ängstlich: Geht es jetzt von vorn los?

Plötzlich wurde ich schwächer

Denn kurz nach der Geburt meiner Tochter bin ich aus dem Nichts plötzlich krank geworden. Ich fühlte mich immer schwächer, konnte kaum noch atmen oder mich bewegen. Nach einigen Wochen im Krankenhaus stand fest: Nur eine Organtransplantation konnte mein Leben retten. Eine sehr seltene Schwangerschaftskomplikation hatte zu einer lebensbedrohlichen Herzmuskelschwäche geführt. Ich war fassungslos! Mein Vater erzählt heute noch, wie ich hochschwanger bei 40 Grad im Schatten im Auto saß und bei vollen Kräften die Sitze neu bezog, während er in der Hitze schwächelte. Und nun sollte ich auf einmal todkrank sein? Ich würde bis zu einem Jahr auf ein Spenderorgan warten müssen, sagte man mir damals – vielleicht länger.

Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Nun liegst du hier und wartest darauf, dass jemand stirbt, damit du sein Herz haben kannst, dachte ich. Dieses Gefühl, darauf angewiesen zu sein, kann ich kaum beschreiben. Ich konnte mir ein anderes Herz in meinem Körper nicht einmal vorstellen. Doch ich bekam kaum noch Luft, weiß heute sogar, dass ich ohne ein fremdes Herz keine sechs Monate mehr überlebt hätte.

Und je schlechter es mir ging, desto mehr wuchs mein Verantwortungsgefühl: Ich musste doch für meine Familie da sein, mich um meine kleine Tochter kümmern! Ich war erst 28 Jahre alt, ich wollte leben! Als der Chirurg, einen Monat nachdem ich auf die Warteliste gesetzt wurde, vor meinem Bett stand und verkündete, mein Herz sei da, fühlte ich nur eins: Erlösung. Vor Erleichterung habe ich sogar gelacht. Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich mich an diesen Moment erinnere.

Nach der Organtransplantation

Nach der OP lauschte ich auf das pochende Herz in mir. Ich konnte zum ersten Mal wieder atmen, ohne das Gefühl zu haben, dass die Luft nicht reicht. Ohne das Gefühl, ersticken zu müssen. Als mein Vater mit mir über den Gang spazierte, ganz behutsam, sah ich ihn an und fragte: "Warum gehen wir nicht schneller?" Vor Rührung fing er an zu weinen. Er war das nicht mehr gewohnt, vorher konnte ich kaum noch aufrecht am Tisch sitzen. In der Zeit nach der Operation musste ich oft an den Menschen denken, der mir sein Herz geschenkt hat. In meiner Fantasie war es ein tragischer Motorradunfall. Aber vielleicht war er oder sie auch ganz anders ums Leben gekommen. Wie bloß?

Ich habe lange gebraucht, um die Schuldgefühle abzuschütteln, zu verstehen: Dieser Mensch ist nicht gestorben, weil ich auf sein Herz gewartet habe. Da besteht überhaupt kein Zusammenhang. Irgendwann konnte ich dieses Geschenk annehmen und dankbar sein.

Ich bin oft gefragt worden, ob sich mein Wesen nach der Transplantation verändert hat, aber nein: Ich habe keine neuen Charakterzüge oder Angewohnheiten, bin die Gleiche wie zuvor. Deshalb hat es für mich auch nie einen Unterschied gemacht, ob der Spender ein Mann oder eine Frau war. Das Herz passt perfekt – das ist alles, was zählt.

Quelle: Laura

Das sagt die Psychologin

Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Dr. phil. Katharina Tigges-Limmer erzählt, was sich Patienten nach einer Transplantation wünschen und wieso Verständnis so wichtig ist.

Unsere Expertin:

Dr. phil. Katharina Tigges-Limmer ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin. Sie leitet die Abteilung für Medizinische Psychologie am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, wo Patientinnen und Patienten im Rahmen ihrer Herz- und Diabeteserkrankungen spezialisierte psychologische Unterstützung angeboten wird.

Weitere Informationen:

https://www.hdz-nrw.de/kliniken-institute/zentrale-dienste/psychologie.html

Wie fühlt es sich an, wenn das Herz einen im Stich lässt?

Herzinfarkte, Reanimationen und schwere Herzerkrankungen lösen bei den Betroffenen oft einen großen Schock aus. Ihr Herz, das im besten Fall als Verbündeter gesehen wird, wird nun oft als Bedrohung erlebt, als Gefahr, die von innen kommt. Die damit verbundenen Todesängste oder auch existentiellen Nöte können durchaus traumatisierend sein. Zusätzlich wird jede soziale Rolle in Frage gestellt, die man innerhalb der Familie, bei Freundschaften, im Beruf einnimmt. Bin ich mit einem chronisch kranken Herzen noch in der Lage, diese Rollen zu erfüllen? So kommt zu dem ersten Schock oft auch eine existentielle Krise. Auch die Frage nach weiteren Behandlungen ist mit Unsicherheiten verbunden.  Gerade jüngere Patienten erleben es als Enttäuschung, wenn ihr Herz nicht mehr funktioniert. Tatsächlich gibt es aber auch Menschen, die ihre Erkrankung und Warnungen ignorieren und ihr Leben wie gewohnt weiterleben. Der Wunsch nach Autonomie während einer chronischen Krankheit ist bei fast allen präsent.

Was wünschen sich Herz-Patienten in dieser Situation?

Vor allem hofft man auf eine sachliche fachärztliche und zugleich empathische Aufklärung. Neben der medizinischen Information möchte man bei einer solch einschneidenden Nachricht vor allem Menschlichkeit. Einige Patienten haben sofort die Befürchtung, dass ihre Erkrankung eine Belastung für die Familie darstellt und haben dementsprechend Schuldgefühle. Von den Angehörigen wünschen sich die meisten Patienten eine offene und ehrliche Kommunikation mit Nachfragen. So sollte es Phasen im Alltag geben, in denen die Herz-Erkrankung bewusst Thema ist und solche, in denen der Fokus woanders liegt. Einige beklagen mit der Herzerkrankung den Verlust von Freunden, daher ist der Wunsch groß, weiterhin in Kontakte miteinbezogen zu werden.

Das Spenderherz rettet mein Leben – wie gehe ich damit um? Freude am Geschenk oder schlechtes Gewissen?

Patienten wissen genau, dass niemand für sie stirbt. Anderseits ist ihnen bewusst, dass ihr Glück auf dem Tod eines anderen fußt, der sich zu Lebzeiten für eine Organspende entschieden hat. Viele Patienten beschäftigen sich daher mit dem Spender und fragen sich, wer dieser Mensch war, oder wie es wohl seiner Familie geht. Gerade am Anfang stellen sich diese Fragen, mit der Zeit entwickeln die Patienten auch ihre eigenen Vorstellungen und Vermutungen über den Verstorbenen. Das hilft ihnen, das Spenderorgan anzunehmen. Mit der Zeit fühlen die meisten Empfänger eine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Spender.

Was ist das Wichtigste beim Thema Organspende?

Eine klare persönliche Entscheidung zu fassen und diese auch mitzuteilen. So erspart man der Familie, im Ernstfall einer ganz entsetzlichen Ausnahmesituation eine solche Entscheidung treffen zu müssen. Wird man schon zu Lebzeiten bewusst Spender und dokumentiert dies in einem Spenderausweis, erleichtert man auch der Person, die das Spenderorgan annimmt, den Prozess. Für Empfänger ist es dann einfacher, das Organ als Geschenk zu akzeptieren.

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*Namen von der Redaktion geändert