Orang-Utans: Zwischen Himmel und Erde
Der Orang-Utan auf diesem Foto befindet sich bereits etliche Meter über dem Erdboden.
Und er wird weiter klettern, immer weiter, bis in die höchsten Äste, die sein Gewicht noch tragen.
Sie leben irgendwo in dieser unerreichbaren Sphäre zwischen Himmel und Erde; dort werden sie geboren und dort verbringen sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens, ohne jemals den Boden zu berühren. Denn Orangs sind nicht wie andere Menschenaffen: Ihre Beine sind kurz und zu schwach, um den massigen Körper zu tragen; auf dem Boden verfallen sie in eine schwerfällige Kriechhaltung, und auch der aufrechte Gang will ihnen kaum gelingen, denn ihre Füße, diese wunderbaren, starken Füße, mit denen sie sicher wie ein Seiltänzer über Lianen zu balancieren vermögen, können sich am Boden gar nicht ausrollen.
Traurig: Diese Tierarten sind vom Aussterben bedroht (Artikel wird unter dem Video fortgesetzt):
Weniger clever? Von wegen!
Über Jahrzehnte glaubten Forscher daher, Orang-Utans seien weit weniger intelligent als andere Primaten. Zumal die Tiere sich auch nur unter größten Mühen dazu bewegen lassen, an irgendwelchen Tests teilzunehmen – während Schimpansen, Bonobos und Gorillas begeistert alle möglichen Aufgaben absolvieren, hocken Orangs bevorzugt teilnahmslos in ihren Ecken. Das allerdings nur, um die Test-Gegenstände dann in einem unbeobachteten Moment für etwas zu missbrauchen, das gar nicht gefragt war. Ziemlich oft sind das Ausbruchsversuche. In einem Fall klaute ein Orang aus den Unterlagen eines Forschers eine Briefklammer und fertigte damit einen Dietrich, mit dem er das Schloss seines Geheges knackte. Da er diesen Zweitschlüssel unter seiner Zunge verborgen hielt, kamen ihm die Wärter erst bei einer Zahnarztkontrolle auf die Schliche. Ein Tier kaute ein Holzstück so lange zurecht, bis es wie ein Vierkantschlüssel ebenfalls in sein Käfigschloss passte; andere knüpfen Seile, bauen meterhohe Kistenstapel oder pulen nachts mit behelfsmäßigen Stemmeisen die Kacheln von den Wänden. Was ohne Frage erstaunliche Intelligenz voraussetzt – allerdings eine, die definitiv den Rahmen herkömmlicher Verhaltens-Tests sprengt.
Unglaubliches Wissen
Mittlerweile wissen Forscher: In freier Natur orientieren sich diese Tiere an uralten Wanderrouten, die über Generationen genutzt werden – in ihrem Kopf sind Regenwaldgebiete von bis zu 9.000 Quadratmetern präzise abgespeichert. Orangs kennen nicht nur jeden Baum in ihrem Revier, sondern an diesen Bäumen auch jeden Ast und jede Kletterpflanze. Dazu unterscheiden sie unter mehr als 10.000 Pflanzenspezies exakt jene 400 Pflanzenteile und 160 Früchte, die sie ernähren. Und dieses Wissen ist nicht etwa angeboren, sondern vollständig erworben – es wird mühevoll von der Mutter an ihre Jungen weitergegeben. „Dazu ist jeder konstruierte Labyrinth-Test geradezu simpel im Vergleich“, sagt der Primatenforscher Prof. Dr. Jürgen Lethmate. Und er hat recht: Orang-Utans müssen keinem Menschen etwas beweisen. Denn sie gehören nicht hierher, nicht auf den Boden der Tatsachen. Sie sind geboren für diese unerreichbare Sphäre zwischen Himmel und Erde, wo die Bäume 70 Meter in den Himmel wachsen und wo ihre starken Füße sie mit traumwandlerischer Leichtigkeit über schwankende Lianen tragen. Dort, wo sie sich nicht heimlich irgendwelche Vierkantschlüssel und Stemmeisen basteln müssen – genau dort ist ihr Platz.
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Quelle: Magazin TV Hören und Sehen